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Kapitel 12: 1938 — Juni „Aktion Arbeitscheue“ und 9/10 November „Reichspogromnacht“ Kristallnacht

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132. Paul Rosengarten  April 1938, Meiningen

Mein Vater wurde von der Gestapo im Juni 1938 aufgegriffen, während er bei Heiman und Mai arbeitete. Sie schimpften ihn einen Vagabunden und schickten nach Buchenwald. Im August wurde er auf eine Krankentrage zurückgebracht. Es war ein Wunder, denn normaler Weise – wenn man nicht mehr laufen konnte, war es Schluss.

[Anmerkung; Am 15. Juni 1938 hat die deutsche Kriminalpolizei über 9.000 asoziale und verurteilte Kriminelle in der sogenannten Operation Arbeitsscheue verhaftet und sie in Konzentrationslager geschickt. Unter den Verhafteten waren ungefähr 1.000 Juden. Das war die erste Massenverhaftung von Juden in Nazi-Deutschland.]

Nachdem mein Vater inhaftiert wurde (im Juni 1938) wurde ich nach Hause gerufen. Ich habe seine Arbeit übernommen und bekam seinen Lohn ausgezahlt, obwohl ich erst 17. Jahre alt war.

Paul Rosengarten, Oktober 1938 — d.h., vor Kristallnacht

Alles endete in der Kristallnacht, 10. November 1938. Um 2 Uhr nachts wurden wir verhaftet. Mein Vater und ich sowie unsere Hauswirtin und ihre Tochter. Sie nahmen ihr den Gehstock. Ihre Tochter und ich halfen ihr so gut wir konnten. Später half uns ein SS-Mann, dessen Frau bei Heiman und Mai gearbeitet hat. Er versuchte uns ein wenig zu beschützen. Aber trotzdem wurden wir alle herumgeschubst, wenigstens jedoch wurden wir nicht geschlagen. Ich höre immer noch die Schreie meiner Mutter.

Sie steckten uns in den Luftschutzbunker unter dem Rathaus, denn das Gefängnis war voll. Frühauf wurde schlimm verprügelt. Der Rabbi kam persönlich, obwohl er nicht gefangen genommen wurde. Er trug nur ein Nachthemd und einen Pantoffel. Die Panik und Niedergeschlagenheit war unbeschreiblich. Trotzdem waren wir gute Deutsche … ! Mein Chef, Herr Heiman, und ich waren plötzlich auf einer Ebene. Um ihn aufzumuntern, machte ich Schachkarten aus einem Notizblock mit einen roten und einem schwarzen Buntstift, die ich glücklicher Weise bei mir hatte. Zuerst gab es einiges Genörgel, aber dann kam der Kartenclub zusammen und spielte die ganze Nacht. Der Rabbi war der erste, der aufgeben musste. Am Morgen half ich Kaffee und trockene Brötchen auszugeben. Danach wurde ich von einem hochrangigen Nazi herangerufen: Er schrie mich an, dass alles Böse von den Juden käme. Dann ließen sie mich gehen. Ich lief nach Hause zu meiner Mutter, der es gut ging, packte eine Tasche mit Unterwäsche zum Wechseln, meine Zahnbürste, Rasierer und einigen Papieren und nahm ein bisschen Geld, denn wir hatten nicht mehr viel. Ich ging zum Bahnhof, kaufte mir eine Nazi-Zeitung, um mich dahinter verstecken zu können und floh, bevor sie ihre Meinung ändern konnten.

Aus irgendeinem Grund wurde ich sechs mal aus Buchenwald freigelassen, obwohl ich niemals dort war. Schließlich ging mein Vater zum Tor, um diesen Umstand zu melden. Daraufhin ließen sie ihn gehen. Mein Bruder hat fünf Sefer Thora-Rollen aus der brennenden Synagoge in Schleusingen retten können, wo er zur Zeit für Theo Götz gerabeitet hat. Die Nazis verprügelten ihn, da er nicht erzählen wollte, wo er sie versteckt hatte und sie schickten ihn nach Buchenwald. Ein paar Tage später wurde er 16 Jahre alt. Er fütterte die Gefangenen, die verrückt geworden waren, in einem speziellen Zementbunker mit einem Wisch-Eimer und einem Gummi-Knüppel. Er bekam eine Kiefer-Entzündung und wurde entlassen. Als ich nach Martinez [Kalifornien] kam, wurde ich zu einem Bnai-Brith-Treffen in Pittsburgh mitgenommen, das Goodman Bader organisiert hat. Und wen sollte ich dort wiedertreffen – Heinz Heiman. Er lebte zu der Zeit immernoch in Antiochien. Später traf ich den alten Herrn Heiman wieder – wieder in Henrys Haus. Wie klein ist doch die Welt!!!

Kapitel 13: Epilogue


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